Wir treffen uns mit Digitalism vorm Pudel und gehen rüber zum Überquell. Uns ist nach neapolitanischer Pizza, Pale Ale und Kaffee an diesem warmen Abend. Der Sommer dreht nochmal auf und so landen wir vorab beim Thema Urlaub, Digital Detox und Handy im Tresor wegsperren. Das ausgerechnet am Ende des Interviews dazu ein spannender Moment entsteht, ahnen wir jetzt noch nicht.

Moin Isi, moin Jens. Für alle, die es noch nicht wissen. Wer seid Ihr und was macht Ihr?

Jens: Wir sind Digitalism, zwei Hamburger, die seit 15 Jahren zusammen elektronische Musik produzieren, auflegen und als Band weltweit unterwegs sind. Joah, das sind wir (lacht).

Warum Hamburg und nicht … ?

Isi: Mal ehrlich. Man ist hier geboren und unser Glück ist auch, dass wir die Welt gesehen haben. Es ist nicht so, dass wir nicht auch woanders gelebt haben, Jens etwas länger und mehr als ich.

In London?

Isi: Genau. Und trotzdem kehrt man immer wieder zum Ursprung zurück. Egal, ob jemand von Berlin nach München kommt, alle ziehen irgendwann wieder zurück. Das peilt nur keiner (lacht). Hamburg ist grün, Hamburg wächst, Hamburg bekommt interessante Ecken, Leute trauen sich etwas. Wenig, aber immer mehr. Damit eine Stadt einem nicht auf den Sack geht, ist es das Allerbeste, man fährt ab und an rein und raus. Dafür muss man nicht immer Weltreisen machen, es reicht auch, mal für einen halben Tag aufs Land rauszufahren. Dann weiß man das schon zu schätzen. Wenn man aber die ganze Zeit an einem Ort bleibt, ist es schon derbe langweilig.
Jens: Nach Hamburg Reinfliegen ist toll. Im Sommer kurz vorm Landen, wenn der Winkel stimmt, sieht man die Stadt gar nicht, weil alles grün ist. Das gibt es in vielen anderen Städten nicht, dass da so viele Bäume stehen, oft höher als die Häuser. Hamburg ist sehr flach gebaut, ausgerollt wie so ein Teig. Ich finde es super, viel Wasser, viel Grünflächen. Ich war auch in London, auch gut. Aber wenn die Leute Hamburg schon teuer finden, ist London zehnmal so teuer. Insofern kann man auch nach Hamburg ziehen (lacht). Ist schon schön. Das sagen übrigens auch alle, die hier zu Besuch sind. Die findet es alle echt … schön.
Isi: Hamburg macht sich in Sachen Touristen.
Jens: Is´ schick.
Digitalism Hamburg

Viel hier wart Ihr dieses Jahr nicht. Kiew, Budapest, Bordeaux, Oslo. Was habt Ihr sonst noch getrieben?

Isi: Jens und ich haben uns etwas richtig Interessantes getraut, nämlich unseren Wunsch erfüllt ein eigenes Label zuhaben. 2017 waren wir fast gar nicht auf Tour, waren viel im Studio und haben anderes Zeug gemacht. Haben überlegt: Wie kann die Zukunft aussehen, braucht man Majors heutzutage, kann man das nicht selber machen? Und wenn man es selber macht, muss man dafür Leute einstellen oder Learning by doing? Wir sind zu dem Schluss gekommen, unsere Releases selbst rauszubringen. Viel braucht man dafür nicht, weil nichts Physisches heraus kommt, soweit hatten wir das festgelegt. Du brauchst einen digitalen Vertrieb. Außerdem haben wir die deutsche Bürokratie kennengelernt, wenn man einen Labelcode erhalten will (lacht). War sehr interessant. Wir haben also viel Musik gemacht, einiges vorproduziert, Neues ist entstanden. Haben uns gefragt: Wie kann man Musik releasen, ohne das Leute dich vergessen? Wenn man ein Album rausbringt, sprechen alle 3, 4 Monate darüber und das war’s.
Jens: Wenn überhaupt.
Isi: Wenn überhaupt. Das war ein großer Faktor. Du willst kontinuierlich Musik rausbringen, bringst du aber ein Album heraus, kannst du nicht trotzdem jeden Monat einen Track raushauen. Das ist irgendwann zu viel. Also haben wir gesagt, hey, lass alle vier bis sechs Wochen was rausbringen. Die Taktik hat sich bewährt.
Jens: Es fühlt sich bis jetzt fast so an wie vorher. Nur dass wir ein bisschen mehr zu organisieren und Verantwortung haben. Das was uns am meisten an der Arbeit mit großen Labels genervt hat, ist dass man etwas fertig hat und dann zwei Jahre wartet, bis damit was passiert, weil alle so lange brauchen. Wie bei so ’ner Behörde.
Isi: Das ist nicht mehr zeitgemäß. Gerade in der heutigen Zeit, wo alles schnelllebig ist, muss man Strukturen auch mal brechen können. Hat auch seine Schattenseiten, klar, aber es ist auch dafür da, mit der Zeit zu gehen. Ausprobieren, mutig sein.

Wir sind maximal!

„PR15M“ EP ist draußen und löst genau die Sorte Ekstase aus, die man in Minimal Zeiten vermisst hat. War man aus, dachte man: „Das ist es jetzt? In der Ecke stehen und wippen?“ Solche Partys mussten sich viele auch schön koksen. Was habt Ihr in dieser Zeit gemacht, Zuhause geblieben? Wir zitieren: „(…) we´re not so much into minimal music“

Isi fällt vor lachen fast die Pizza aus dem Gesicht.

Jens: Das war noch freundlich ausgedrückt (lacht). Wir sind ja diplomatisch. Es gab eine Zeit, wo das sehr angesagt war, ja. Was haben wir da gemacht? Wir sind mit unserer Musik, die die Gegenantwort zu „Minimal“ war weltweit unterwegs gewesen und das war immer maximal. Das war so unser Rezept. Bemerkt haben wir das Ganze schon, haben aber auf anderen Veranstaltungen gespielt.

Hätte auch sein können, dass alles einbricht und alle nur noch „Minimal“ wollen.

Isi: Es ist auf eine Art und Weise eingebrochen. In der Vergangenheit gab es immer eine Brücke zwischen den Musikrichtungen. Festivals waren sehr durcheinander gebucht, wofür z. B. das Melt stand. Die haben sich was getraut. Heutzutage ist alles spezifischer, die Techno Szene bleibt unter sich, ob nun „Minimal“ oder lauteres. Bands sind in Hintergrund geraten, dafür war das DJ Ding ganz groß, ist es immer noch. Ist eine interessante Zeit, alles wiederholt sich. Irgendwann werden wieder Bands ganz oben stehen und DJs unten. Ich sage immer, das ist wie so ein Recyclinghof. Kommt und geht, wie Trends. Die Brücke fehlt, viele Szenen sind isoliert. Als wir angefangen haben, haben wir auf einem Reggae Festival gespielt. Hat funktioniert.
Jens: Wir sind uns selber treu geblieben und nicht dem „Minimal“ verfallen. Wir haben das Glück, dass wir das immer noch so machen können, wie wir es ursprünglich angefangen hatten.

Das komplette Gegenteil dazu: „Voll Beat“. Könnt Ihr das Teil pantomimisch darstellen?

Digitalism Hamburg
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Sagen wir mal so, auf dem musikalischen Wasserhahn (…) ist schon viel Druck drauf. Das will alles raus.

Ab November gehts wieder auf US Tour. Aber heute bleibt Ihr schön Zuhause!

Isi: Ja. Im Pudel. Da haben wir auch schon 2005 gespielt.
Jens: Ich habe noch die Fotos, wir haben live gespielt. Es war Halloween und wir hatten ein Kostüm an, so ’nen Kürbis (lacht). Und am nächsten Tag mussten wir irgendwo hin.
Isi: Ich kann Dir sagen, wohin. Wir mussten nach dem Gig mit der ersten Bahn nach Berlin zur US Botschaft.
Jens: Ich weiß gar nicht, warum die uns da rein gelassen haben.

Im Kürbiskostüm?

Isi: Nee, aber das war ein hartes Wochenende, weil wir Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag gespielt haben. Man ist noch jung, kann das wegstecken, stehst aber wie so´n Zombie davor.

Was verbindet Euch mit dem Pudelclub?

Isi: Der Pudel ist fast noch der einzige Laden, den es längerfristig gibt. Wir haben auf der Welt ein riesengroßes Problem, es machen mehr und mehr Clubs zu. Klar machen Neue auf, aber ein lang bestehender Club hat was vorzuweisen. Überlege mal, wer der alles schon gespielt hat, genauso wie im Molotow oder dem Logo. Die haben Tradition. Wenn die zu machen, fällt auch ein Stück Kultur weg. Ich kann mich daran erinnern, als Jens und ich sonntags in Pudel gegangen sind, dass dort irgendwelche Bands gespielt haben, die wir noch nicht kannten. „Princess Superstar“ und und und. Oder es kommt auf einmal so ’n Random MC an … Was hatte der an, so ein Hasenoutfit?
Jens: Bärenkostüm.
Isi: Bärenkostüm. Und hat wirklich das Mikrofon genommen, den MC gemacht und alle sind komplett ausgerastet. So was macht es aus in den kleinen Läden, da passieren Sachen, mit denen du nicht gerechnet hast. Weil die Bock drauf haben und du auf Musik stößt, auf die du sonst nicht kommst. Trotzdem Spotify & Co super Algorithmen haben. Da ist ein super DJ und der ist hot. Das ist halt das Geile. Du bist von Kultur umgeben, Leuten die das leben, dafür schwitzen, sich Gedanken machen. Das solche Clubs erhalten bleiben, dafür muss man kämpfen. Wenn die zu machen würden, würde es diverse DJs nicht mehr geben, wird coole Musik es evtl. nicht mehr schaffen, größer zu werden. Wir sprechen hier von Industrial Tekkno, was jetzt gerade im Kommen ist.
Jens: Auch wenn wir nicht so oft im Pudel gespielt haben, es gibt die Verbindung. Der Club ist ohnehin tief mit Hamburg verwurzelt, mit Rocko Schamoni und den ganzen Leuten, und wir kennen die Jungs, die den Laden schmeißen seit Ewigkeiten. Ist ein bisschen so ein Familiending.
Digitalism Hamburg
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Aktuell wird wieder gebaut. Wisst Ihr Genaues?

Jens: Da kommt jetzt ein MC Donalds rein (lacht). Nee, das muss man dann sehen, wenn es fertig ist (grinst).

Kaum wieder aufgebaut, folgt der Abriss. Was passiert heute Abend?

Isi: Das wird halb so wild. Viele sagen, das wird richtig voll, ich würde sagen, das wird ein ganz entspannter Abend.
Jens: Ist ja ein Mittwoch. Na gut, es ist Reeperbahn Festival und die Leute sind teilweise schon da. Wir sehen das entspannt. (Überlegt) Wir haben dann aber doch ein paar Einladungen rausgeschickt mit der Ansage: „Bring mal ein zweites Shirt mit“.

Zukunftsmusik. Was kommt?

Isi: Wir bringen dieses Jahr auf jeden Fall noch eine EP raus. Was nächstes Jahr angeht, das ist eine ganz große Frage …

Wir stellen nur große Fragen.

Isi: …weil wir wirklich gerade darüber diskutieren, was wir machen werden.
Jens: Es gibt viele Ideen, wir sind am Sortieren. Sagen wir mal so, auf dem musikalischen Wasserhahn, ist schon viel Druck drauf. Das will alles raus. Da ist viel in der Leitung. Erst mal die EP und dann gucken wir, wie wir das nächste Jahr gestalten.

Wo geht Ihr gerne essen und warum ausgerechnet da?

Isi: Boah …
Jens: Ganz ehrlich, mein Lieblingsrestaurant in Hamburg ist seit 10 Jahren ein Chinese in Wartenau.
Isi: Ja man.

Wir bestellen zwischendrin kurz Kaffee. Isi ist mit meiner Wahl nicht zufrieden, wir diskutieren das kurz aus. 2 Espressi, schwarz.

Jens: Der heißt Golden. Ganz unscheinbar. Der Typ, der das macht, ist spezialisiert auf Szechuan. Da sitzen wir gerne, an so einem runden Tisch, richtig schön 80er, so wie sich das gehört (lacht). Reisebusse voll mit Chinesen fahren dort regelmäßig vor, zack, alles voll. Und zwanzig Minuten später sind alle wieder weg. Hat wahrscheinlich einen guten Deal mit den Veranstaltern. Ist aber ein gutes Zeichen, die essen alle dort. Eine Zeit lang waren wir einmal die Woche da, jetzt im Sommer länger nicht. Aber letztens begrüßte mich Herr Wong (chinesischer Akzent): „Oh, oh, super, endlich wieder da.“ Das ist nicht das allerbeste Restaurant der Welt oder so, aber für mich wie so ein zweites Zuhause. Insider Tipp: Szechuan Wan Tan.
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Ihr macht die besten … ?

Isi: Jeder hat ja einen anderen Geschmack …
Jens: Ach komm, jetzt hau raus! Es gab früher an der Uni in der Rentzelstraße den „Panda Imbiss“. Wir waren so sauer, dass die zugemacht haben, dass wir gegoogelt haben, wo die wohnen, um nach Catering zu fragen. Seitdem versuche ich, Panda nachzukochen. Langsam hab ich es raus, es hat sich allerdings verselbstständigt in ein ganz neues Gericht (lacht). Aktuell bin ich an Ramen mit Huhn dran. In Hamburg war ich witzigerweise noch nicht Ramen essen, aber ein Kumpel arbeitet in einem Laden, der immer Top bewertet wird …

Momo Ramen?

Ja, genau! Will ich hin. Isi war schon ein paar mal da.

Lenny Kravitz übrigens gerade auch.

Isi: Echt?! Ich würde sagen, wer gute Bolognese essen möchte, kann gern zu mir kommen, aber jeder macht sie anders, der eine so, der andere so.
Jens: Ja, das ist gerade das Spannende. Seit 10 Jahren diskutieren wir mit unserem Tourmanager über die perfekte Bolognese.
Isi: Ganz wichtig bei allen Nudelgerichten ist, dass du das Nudelwasser mit in die Soße gibst. Das unterschätzt man, ist aber ein wichtiger Geschmacksträger.
Jens: Carbonara ist auch so ein Thema. Braucht jahrelange Übung, sonst hast du Rührei.

Das ist ein Problem. Wir sollten eine Kochsession machen.

Isi: Das können wir sehr gerne machen, wir laden Fans ein und kochen. Was ich ab und an gerne mache: Türkische Gewürze nehmen, ich komme ja aus der Türkei. Jens habe ich letztens Granatapfelöl mitgebracht. In Hamburg fehlt leider ein authentischer Türke. Am ehesten noch der am Steindamm. Ich sage Bescheid, wenn ich DEN Laden gefunden habe.

Bier oder Whiskey?

Jens: Nach ein, zwei Bier, Whiskey. Sonst bin ich so voll, also im Bauch.
Isi: Nix von beidem. Ich hatte als Jugendlicher schon genug, dass ich das jetzt wohl nicht mehr brauche. Bin wie Obelix früh in Topf gefallen (lacht).

Fleisch oder Gemüse?

Isi: Die Frage ist fies. Du brauchst beides. Fleisch ohne Gemüse schmeckt nicht.
Jens: Im Moment Fleisch. Ist nicht der Trend, aber ist mir auch egal (lacht).

Irgendwann ist auch mal gut. Wie und wo fahrt Ihr Euch in Hamburg runter?

Isi: Wir haben bei einer Fotosession krasse Ecken wiederentdeckt. Den Botanischen Garten in Blankenese. Den neuen Baakenpark in der Hafencity. Superentspannt. Planten un Blomen ist immer toll.
Jens: Ich bin immer gern im Stadtpark, da ist es wie im Wald. Alle Gruppen sind gemischt. Latinos, die Volleyball spielen und Zelte aufbauen, Fußballer, Familien, Schauspieler, die ihren Text üben. So viele verschiedene Ecken. Wir haben eine Grillgruppe, wenn alle da sind, wird sonntags gegrillt. Im Winter, als es so derbe geschneit hat, sah es hier aus wie in „Game of Thrones“, supercool.
Isi: Wir haben hier so viele Parks, die Leute vergessen das bloß im Alltagsstress.
Jens: Ich mache mich gerade im chinesischem Schach. Das bist du voll drin, und auf einmal ist es 19.00 Uhr. Einfach mal so Sachen machen, ohne E-mail, Social Media, alles.

Wir drücken auf Aufnahmestopp. Jetzt passiert Folgendes. Kaum ist das Interview im Kasten, greifen beide synchron zum Smartphone. Verdammt! So was von ertappt müssen wir sehr lachen.

Digitalism Hamburg

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